Rudolf Steiners Erziehungsmotto
"Das Kind in Ehrfurcht empfangen, in Liebe erziehen und in Freiheit entlassen."
Die Erziehung zur Freiheit ist ein hohes Ideal und es bedarf einer genauen Kenntnis der kindlichen Entwicklung, damit dieses Ziel Realität werden kann.
In den ersten sieben Jahren ist das Kind noch ganz damit beschäftigt, die Welt und sich selbst kennenzulernen. Es ist die Phase des größten körperlichen Wachstums (mit zwei Jahren hat das Kind die Hälfte seiner endgültigen Körpergröße erreicht). Für dieses Wachstum und die Reifung seiner Organe braucht das Kind viele Lebenskräfte. Diese Kräfte regenerieren sich in einem rhythmischen Tagesablauf, in dem sich Phasen der Aktivität mit Phasen der Ruhe regelmäßig abwechseln. Feste Tageszeiten für das Essen und Schlafen und eine gewisse gleichbleibende Struktur des Tages geben dem Kind Sicherheit und helfen ihm, seinen eigenen Rhythmus zu finden. Wenn sich jeden Tag der vertraute Ablauf wiederholt, kann das Kind abends einschlafen in der Gewissheit, dass morgen alles wieder seine Ordnung hat.
Im Waldorfkindergarten erleben die Kinder auch eine Strukturierung der Woche durch eine spezielle Prägung der einzelnen Wochentage.
Die Kinder erleben die Vorgänge in der Natur im Wechsel der Jahreszeiten bewusst und unbewusst mit. Dies kann auch für den Erwachsenen eine Hilfe bedeuten, neu und ganz bewusst die Naturvorgänge zu betrachten und zu erleben und einen neuen Zugang zu den Jahresfesten zu finden. In den Jahresfesten finden die Kinder zu ihrer natürlichen Religiosität. Das Feiern der Jahresfeste kann in jeder Familie eine eigene Tradition und Verbundenheit schaffen, die oft ein Leben lang trägt. Mit jeder Jahreszeit und mit jedem Alter ist bestimmter Erzählstoff, spezielle Märchen und Geschichten verbunden. Lieblingslieder oder spezielle Festtagsessen können in den späteren Jahren noch einmal die Kindheitserinnerungen wach werden lassen. Die Feste sind eine Gelegenheit, den Menschen in seiner Dreiheit (Körper, Seele und Geist) anzusprechen.
Das Spiel der Kinder ist in ihrer fröhlichen, lauten oder besinnlichen Art eine wichtige und ernste Angelegenheit. Das Spiel ist in seiner Bedeutung der Arbeit des Erwachsenen gleichzusetzen. Es ist wichtig, die Kinder in ihrem Freispiel zu beobachten und zu bemerken, wann das Kind Hilfe oder Anregung für sein Spiel braucht. Es gibt einige Faktoren, die man beachten muss: Hat das Kind die Möglichkeit und genügend Raum (räumlich und zeitlich) zu spielen? Wie wirkt das Spielzeug, welches das Kind zur Verfügung hat? Kann das Kind in dem Spiel seine Gefühle und Wahrnehmungen wiedergeben?
Das Spiel des Kindes sollte schöpferisch und frei sein. Das Spielzeug sollte ihm viel Raum für die eigene Phantasie lassen. Im Spiel wollen die Sinne des Kindes angeregt werden, es will mit Händen und Füßen die Welt ergreifen und begreifen können. Je einfacher das Spielmaterial ist, desto vielfältiger ist es zu verwenden: Kastanien können die Kartoffeln im Kaufmannsladen sein, aber ebenso sind sie das "Granulat", das der Schneepflug ausstreut oder sind der Schatz, den die Seeräuber finden müssen. Spieltücher sind in seiner Vielfältigkeit wohl unerreicht.
In der Raumgestaltung sollten die Kinder Klarheit und Ordnung und außerdem wohliges Geborgenheitsgefühl erleben. Denn nur aus der Geborgenheit heraus kann das Kind schöpferisch tätig werden.
Ähnliches gilt für die äußeren Hüllen des Kindes, die Kleidung. Sie sollte dem Kind genügend Bewegungsfreiheit lassen und sich weich und angenehm anfühlen. Die Farben und die Muster sollten so zurückhaltend sein, dass die Individualität des Kindes zum Ausdruck kommen kann.
Die Kleidung hat die Aufgabe zu wärmen, aber auch Schweiß aufzunehmen, die Haut atmen zu lassen. Für kleine Kinder ist Wolle vorteilhaft, da sie Feuchtigkeit nach außen transportiert. Angesichts zunehmender Allergien sind Naturfasern zu empfehlen, die keine oder möglichst wenig Schadstoffe und chemische Stoffe aus Herstellung und Reinigung enthalten.
Bei der Ernährung schließlich sollte man ebenfalls auf Qualität und Ausgewogenheit achten, den Menschen in seiner Gesamtheit ansprechen und Einseitigkeiten vermeiden.
Waldorfpädagogik in den ersten sieben Jahren
Das leitende Prinzip in diesem Alter ist die Nachahmung:
Das ganz kleine Kind ist noch völlig eins mit seiner Umwelt. Es ist wie ein einziges Sinnesorgan für alle Eindrücke von außen, denen es vollkommen hingegeben, aber auch ausgeliefert ist.
Das Kleinkind macht die Außenwelt zu seiner Innenwelt. Allmählich werden die anfangs noch chaotisch wirkenden Bewegungen des Kindes gezielter, und die tief aufgenommenen Wahrnehmungen können mit dem Willen ergriffen und handelnd wieder herausgesetzt werden: das Kind ahmt nach.
Sein ganzes Spiel ist Nachahmung, sein Lernen geschieht durch Nachahmung. Wir wissen, dass kein Kind die wichtigsten menschlichen Fähigkeiten, das Aufrichten, das Gehen, das Sprechen und damit das Denken erlernen kann, ohne das Vorbild eines Menschen.
Das bedeutet einerseits, das Kind vor zu vielen oder schädigenden Eindrücken zu schützen, ihm Hülle und Geborgenheit zu verschaffen. Andererseits fördern wir die Nachahmungskräfte und damit sein Spiel, wenn wir den Sinnen des Kindes „vielfältige, fördernde Nahrung" geben.
So ist ein in wirklich kindlichem Sinne verstandenes Spiel von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des Kindes. Dem Spielen des Kindes Raum und Zeit zu schaffen, in dem Kindsein sich wirklich entfalten kann, ist daher das Hauptanliegen des Waldorfkindergartens: Das Kind soll sich mit allen Sinnen erleben, mit dem ganzen Körper bewegen, mit Händen und Füßen tätig sein, seine Umwelt ergreifen, be-greifen. Das kleine Kind wird noch ganz durch das Spielmaterial angeregt, größere Kinder haben bereits eigene Ideen und Vorstellungen und suchen sich dazu ihre Materialien zusammen.
Das Spielmaterial ist einfach und vielfältig: Körbe mit Tannenzapfen und Kastanien, Aststückchen und Steinen, Muscheln und Schneckenhäuser, die in der Natur gesammelt werden, dazu Tücher und Spielständer, Bänder, einfache Puppen, gestrickte Tiere. Nichts ist fertig, alles kann sich verändern von einem Augenblick zum nächsten: ein Stückchen Holz, gerade noch als Bügeleisen dringend benötigt, wird zum Telefon.
So werden Fantasiekräfte gepflegt und entwickelt, die später zur Grundlage eines kreativen Denkens werden können. Spielkräfte der ersten Kindheit verwandeln sich zu freien schöpferischen Kräften.
Das Kind lernt ausschließlich durch Nachahmung. Ob nun etwas gut oder schlecht ist, kann es als kleines Kind nicht unterscheiden. Es nimmt alles auf, was in seiner Umgebung gesagt, getan, ja gedacht und gefühlt wird. Daher sollte das Kind vernünftige und liebevoll ausgeführte Handlungen erleben können als nachahmenswerte Anregung für das eigene Tun.
Die Erzieherinnen arbeiten sichtbar und durchschaubar vor den Augen der Kinder: kochen, nähen, reparieren an der Werkbank, pflanzen und jäten im Garten. Sinnvolle Aufgaben sind es, die im Kindergarten anfallen, nicht künstlich ausgedachte.Von besonderer Bedeutung gerade in den ersten sieben Jahren sind Rhythmus und Wiederholung:
Der sich wiederholende, geregelte Ablauf eines Tages, einer Woche, ja sogar eines Jahres gibt den Kindern Sicherheit und Geborgenheit. So gleicht der Tageslauf im Kindergarten einem ständigen Ein- und Ausatmen, einem Wechsel von Phasen des Freispieles mit Phasen des Einordnens in das Gruppengeschehen. Freilassende und konzentrierte Phasen wechseln sich ab in täglicher Wiederholung. Jeder Wochentag hat ein dem Tag entsprechendes Frühstück, und wird hervorgehoben durch eine besondere künstlerische Tätigkeit (zum Beispiel Malen, Kneten oder Musizieren). Das ermöglicht den Kindern eine Orientierung im zeitlichen Raum. Der Jahreslauf wird in seiner Gliederung überschaubar durch die Vorbereitung und das Feiern der Feste. Die Kinder erleben draußen in der Natur die Jahreszeiten mit. Durch Reigen, Lieder, Märchen und Tischpuppenspiele wird das Miterleben des Jahreslaufes intensiviert. Im Waldorfkindergarten wird viel Wert auf die Pflege der Sprache und der Bewegung gelegt. Kleine Verse und Sprüche, Finger- und Bewegungsspiele fördern die Entwicklung des Kindes. Der Verlauf der frühen Kindheit ist von entscheidender Bedeutung für die ganze spätere Biografie eines Menschen. Wir alle müssen uns dafür einsetzen, dass den Kindern ihr Kindsein ermöglicht und gelassen wird - es ist das Fundament ihres Lebens.