Die Eurythmie fügt sich als fester Bestandteil in den Verlauf der Woche in den Waldorfkindergarten ein. Am „Eurythmietag“ ist manches für dieses Ereignis zu berücksichtigen: Die Kinder sollen zu einer bestimmten Zeit ihre Eurythmieschuhe und pastellfarbenen Eurythmiekleider aus Seide anhaben und möglichst auch in einer Verfassung sein, in der sie diese konzentrierte, intensive Zeit der Eurythmie gut miterleben und durchhalten können. Dabei sind alle Sinne angesprochen, alle Gliedmaßen kommen in Bewegung und ein bildhaftes Geschehen soll die Kinder so ansprechen, dass sie einsteigen und die Bewegungen des Eurythmisten wahrnehmen und gleichzeitig nachahmen können. Welcher Art ist nun eigentlich die eurythmische Bewegung? Die Bewegungen der Eurythmie haben ihren Ursprung nicht in der äußeren menschlichen Tätigkeit, auch wenn sie oft die Beziehung dazu suchen. Auch alles funktional-gymnastische oder sportliche ist nicht der Ursprung. Um den Ursprung der eurythmischen Bewegung zu verstehen, kann man sich auf den Anfang des menschlichen Lebens besinnen. Es beginnt verborgen im Leib der Mutter. Ganz im Beweglich-Flüssigen. Das Erste ist strukturloses Chaos und Bewegung. Da hinein wirken plastische Kräfte, die alles immer mehr ausformen, beleben und lebendig erhalten: Da wird geformt, durchströmt, durchdrungen, ausgestülpt, herangezogen, ausgebuchtet, abgegrenzt, gestreckt, verengt, geöffnet, umhüllt, usw. Alle diese plastischen Kräfte wirken an dem Leib bis dieser aus dem Mutterleib hervortritt. Dann ist alles veranlagt und muss nun weiterwachsen und sich dabei weiter ausgestalten und individueller werden. Aber ein erster großer Entwicklungsabschnitt ist vorüber und allmählich wird ein Teil dieser Kräfte frei. Verwandelt kommen sie nun zur Erscheinung, wenn das Kind nach und nach sprechen lernt. Das Sprechen ist ein Plastizieren in der Luft mit den Sprechorganen nach der Art wie früher der Leib ausgestaltet wurde. Auch das Denken geschieht mit solchen freiwerdenden, plastischen Kräften. Ein Wort wie „be-greifen“ deutet auf die plastische Natur des Denkens. In der Eurythmie geschieht nun eine weitere Verwandlung, indem diese Leibbildebewegun-gen zu Gliedmaßenbewegungen werden. Zunächst bilden diese Kräfte den Leib, dann gestalten sie die Sprache und in der Eurythmie erscheinen sie zusammen mit der Sprache als plastisches Bewegen mit den Gliedern. Der Ursprung der Eurythmiebewegungen liegt also in den Leibgestaltungskräften. Rudolf Steiner nennt den Leib, der sie trägt, den Bildekräfte- oder Ätherleib. Die Kinder „sprechen“ also mit den Gliedern. Die ganzen Kräfte, die plastisch den Leib gebildet haben und ihn bis zum Tod erhalten, plastizieren die Luft oder den Raum. Im Sprechen geschieht das unsichtbar. In der Eurythmie kann man es sehen. Indem die Kinder nun Eurythmie machen, wirkt diese plastischen Bewegungen zurück auf den Leibaufbau und die Ausgestaltung des Seelisch-Geistigen, indem dieses angeregt, verfeinert, ausdifferenziert und belebt wird. Während man in der Heileurythmie dem Bildekräfteleib ganz gezielt korrigierende Impulse gibt, wirkt die Kindergarteneurythmie insgesamt belebend, anregend und Entwicklung för- dernd. So kann sich das Kind auf gesunde Weise mit seinem Leib verbinden und ihn sich zu eigen machen. Dadurch erhält das Kind eine Stärke für sein ganzes Leben, auch wenn es sich später gar nicht mehr an die Eurythmie erinnert. Im Bildhaften der Eurythmie tauchen die Kinder erlebend ein in elementare Geschehen der Natur. Sie erleben Gnome, Zwerge und Riesen, die Tierwelt und schlüpfen auch in menschliche Tätigkeiten (z.B.: Handwerkliches Tun). Auch Märchenstimmungen können eurythmisch gestaltet werden. In all diesen Wesen begegnet das Kind Seiten von sich selber. Die flinke Maus, die langsame Schnecke, das Pferd, der Vogel, der Zwerg, der Riese regen das Kind an, verschiedene Seiten in sich auszubilden und ein vielseitiger Mensch zu werden. Heute sind oft schon 3-jährige Kinder dabei, die nur mit großen Augen dem Geschehen folgen. Meist sind sie dem Geschehen um sich herum einfach hingegeben. An ein Gelingen, z.B.: Lautgebärden oder wie ein Pferdchen zu springen, denken sie noch kaum. Dann kann man mit der fortschreitenden Zeit verfolgen, wie das Mittun immer mehr wächst und differenzierter wird. Und wenn die Vorschulkinder dann auf ihr Kindergartenende zugehen, können sie selber schon ein Vorbild für die Kleinen sein und auch mal kleine Aufgaben vor der Gruppe selbständig tun. Ob ihnen etwas gelingt, bemerken sie immer mehr: Das Lernen ist schon ein anderes geworden. Aus den kleinen Kindern, an denen man noch Himmelsnähe erlebt, sind schon mehr Erdenmenschen geworden. Viele Einflüsse des modernen Lebens liefern die Kinder einseitig dem materiellen Dasein aus, so dass sie sozusagen zu früh irdisch verhärtet werden können, zu tief im Leib stecken und verfrüht ihre Kindlichkeit verlieren und zu intellektuell werden. Das zeigt sich dann in einseitigen, undifferenzierten Bewegungen, unreflektierter Phantastik im Gegensatz zur Phantasie und dem Unvermögen Handlungen kleiner Geschichten und Märchen miterleben zu können. Die regelmäßigen Eurythmiestunden im Waldorfkindergarten wirken, unter anderem, dem entgegen. Eine freudige, das irdische Dasein bejahende Stimmung, soll die Eurythmie durchziehen. Alles soll nachahmenswert sein, so dass die Verbindung mit dem Leib auf gesunde Weise geschehe.
Arnulf Gaese, Eurythmist, Nürnberg